Ist Gini/Durlemann endlich Geschichte?
Ein neuerer Bundesgerichtsentscheid lässt hoffen, dass die umstrittene Gini/Durlemann-Praxis des Schweizerischen Bundesgerichts bald der Vergangenheit angehört.
Ein möglicherweise wegweisendes Bundesgerichtsurteil (Urteil 4A_602/2017 vom 7. Mai 2018) deutet an, dass die berüchtigte Gini/Durlemann-Praxis allenfalls bald der Vergangenheit angehören könnte. Dies würde u.a. den Regress für Transportversicherungen in der Schweiz erheblich erleichtern. Endlich. Noch ist es aber zu früh, vollständige Entwarnung zu geben.
Hintergrund
Die Schweiz ist, was die Regressmöglichkeiten eines Versicherers anbelangt, ein Exot. Aufgrund der ominösen und seit über 60 Jahren vom Bundesgericht angewandten Gini/Durlemann-Praxis konnte ein Versicherer nur dann auf einen vertraglich haftenden Regress nehmen, wenn dieser vorsätzlich oder grobfahrlässig handelte. Bei einfachem Verschulden, also bei bloss fahrlässiger Vertragsverletzung, war dem Versicherer der Regress hingegen versperrt. Diese erhebliche Erschwerung von Regressen ist weltweit einzigartig.
Die Bedeutung von Gini/Durlemann im Transportrecht
Beinahe jeder Transportschaden wird heute unter Beizug von Transportversicherungen erledigt. Reguliert die Transportversicherung den Schaden, indem Sie ihrem Versicherungsnehmer den Schaden ersetzt, so kann sie nur dann auf den Frachtführer Regress nehmen, wenn sie diesem Grobfahrlässigkeit vorzuwerfen vermag. Da die Schwelle hierzu eher hoch ist und da sich zudem schwierige Beweisfragen stellen können, haben viele Versicherer von vornherein auf Regresse in der Schweiz verzichtet.
Ist Gini/Durlemann nun abgeschafft?
Nein, noch nicht. Das Bundesgericht hat im aktuellen Entscheid einem Versicherer den Regress gegen einen kausalhaftpflichtigen gestattet. Das Bundesgericht hat sich aber nicht dazu geäussert, ob diese Aufweichung der Gini/Durlemann-Praxis auch in Bezug auf vertraglich haftpflichtige gilt.
Allerdings macht ein Punkt Mut: Das Bundesgericht hat sich zur Begründung seiner Praxisänderung explizit und massgeblich darauf abgestützt, dass der politische Wille zur Abschaffung der Gini/Durlemann-Praxis manifest sei und verweist auf den geplanten neuen Art. 95c VVG. Gemäss dieser neuen Bestimmung sollen Regresse auf sämtliche Haftpflichtige, also explizit auch auf vertraglich haftende zugelassen werden. Da es der explizite Gedanke des Bundesgerichts war, sich von dieser geplanten Revision leiten zu lassen, darf mit Fug und Recht davon ausgegangen werden, dass das Bundesgericht auch in einem Regress gegen einen vertraglich haftenden gleich entscheiden wird. Beschlossen oder entschieden ist dies aber noch nicht.
Zusammenfassung und Bedeutung für Transportversicherer
- Das Bundesgericht hat in einem nicht transportrechtlichen Entscheid angedeutet, dass es die sog. Gini/Durlemann-Praxis demnächst komplett abschaffen könnte. Gewissheit besteht jedoch erst, wenn dann auch tatsächlich ein entsprechendes Urteil vorliegt, dass dies bestätigt.
- Wird die Gini/Durlemann-Praxis abgeschafft, so würde dies bedeuten, dass Transportversicherer auch in der Schweiz nicht mehr beschränkt wären, wenn es um Regresse gegen schadensverursachende Frachtführer oder Spediteure geht.
- Damit würde sich die Schweiz in diesem Punkt endlich dem internationalen Standard anpassen.